Fast hätte ich mich gedrückt..

Es klingelte an der Tür. Als ich öffnete, stand jemand mit freundlichem, dunkelhäutigerem gegerbten Gesicht vor mir. Wieder jemand vom Zirkus? War meine, als er mir einen Zettel hinhielt.
“ich habe kaine Arbeit“.. mehr las ich nicht, meine Meinung war schon geprägt. „Gehen sie zum Rathaus, dort wird man ihnen helfen“ sagte ich…. „ich gebe Ihnen jetzt gerne was, doch gehen sie zum Rathaus, damit sie Hilfe bekommen“… und drehte mich um, um zum Geldbeutel zu gehen… der nur Kupfermünzen enthielt und 2 oder 3 Euro, was mir zu kleinlich erschien, trotz … vieler Gründe.
Ich erinnerte mich an meinen Notgroschen in meiner Tasche, und nahm dort den 5 Euro schein, ging zur Tür, öffnete sie wieder um ihm den Schein zu geben. Und er erschrak – vor Freude und Erleichterung. Er erschrak vor der Großzügigkeit und war froh. Er erschrak, weil es ein Schein war, vielleicht hatte er die Summe verschätzt, doch er erschrak weil ich großzügig war, und in dem Moment sah ich seine Not. Ich war schon dabei, ihm wieder zu sagen, er solle zum Rathaus gehen, als die Gedanken einsetzten.
So vieles war durch mich hindurchgerast: ich möchte nicht gestört werden, ich möchte nicht, dass jemand an meiner Tür klingelt und bettelt. Ich hatte vor kurzem den Menschen vom Circus gesehen, wie er schnurstracks durch die halbe Straße ging, nur um bei mir zu klingeln, weil ich immer was gab, auch wenn ich nachfragte, manchmal, … und mir vorgenommen hatte, den Zirkus zu suchen, um zu sehen, wie es den Tieren geht.
Ich möchte das nicht unterstützen, dass man wieder klingelt… doch er erschrak, und ich werde den Ausdruck in seinem Gesicht nicht vergessen. Ich weiss nicht, ob er Asylant ist, Immigrant, Flüchtling. Ich weiss nur, er war in Not.
Man weiss nie, wer klingelt…. Auch wenn ich aus der Kirche ausgetreten bin, so fiel mir doch die Bibelstelle ein: Es könnte Christus sein, der klingelt…. Auch wenn ich dann wieder nicht wüsste, was das für mich bedeutet… es hat in diesem einen Moment bedeutet: der Mann war wirklich in Not. Er hat nicht gelogen, geschwindelt oder etwas ertrickst. Es war echt. Der eine Moment, auf den es ankommt, Hilfe zu bekommen.
Ich hab ihn mit Worten zum Rathaus geschickt – doch stimmt das? Bekommt er dort wirklich Hilfe? Haben wir zur Zeit eine solche Lage, dass er Hilfe bekäme? Ich habe bei meiner Arbeit mit dem Weißen Ring auch erlebt, dass Leute abrutschen können, trotz nachgewiesener Notlage… Hilfe brauchen, auch wenn wir scheinbar ein soziales Netz haben.
Er hat wirklich Hilfe gebraucht – hab ich mich mit der Rathaus-Floskel vor der Verantwortung gedrückt? Weiss ich, was ich tue, wenn ich ihn dorthin schicke?
Wie auch immer, ich werde es jetzt herausfinden, weil ich es herausfinden möchte.
Ich möchte wissen, ob er Hilfe bekäme.
Was bedeutet es, in einem Land zu leben, in dem man weiß, dass den Menschen in Not geholfen wird?
Ich war und bin mir sicher, jetzt in einem solchen Land zu leben. Und doch gibt es die Bilder von brennenden Asylantenheimen, von ertrinkenden Flüchtlingen, und dieser Erleichterung gemischt mit Erschrecken, wirklich etwas zu erhalten.
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